Veranstaltungsreihe "Gleichwertige Lebensverhältnisse in Rheinland-Pfalz"
14.04.2021 in Föhren
Online-Forum „Baukultur im ländlichen Raum - Chance und Aufgabe“
Das Wort des Nachmittags kam auf halber Strecke und etwas sperrig daher, aber es brachte auf den Punkt, worüber Landkreistag und Architektenkammer Rheinland-Pfalz ohnehin einig waren: Baukultur als Ausweis kultureller Identität, als konstituierender Bestandteil authentischer Orte und Landschaften ist gerade im ländlichen Raum ein wichtiger Halte- und Standortfaktor. Sie ist weder Kulisse noch Luxus, sondern immerwährende, sehr konkrete Aufgabe für alle, die darin leben, arbeiten, investieren, die über sie entscheiden, sie pflegen oder brachfallen lassen. Und sie ist nichts, wenn sie sich auf einem noch so ruhmreichen Gestern ausruht. Baukultur ist heute und braucht ein Morgen. Baukultur gilt es, zu „verzukünftigen,“ formulierte Prof. Dr. Kluge, von der Alanus Hochschule bei Bonn die Aufgabe. Dabei nahm er den Gesprächsfaden und den Begriff der „Verheutigung“ von Landrat Dr. Joachim Streit auf, dessen Initiative „Baukultur Eifel“ dies gemeinsam mit der Kammer seit rund zehn Jahren im Eifelkreis auf der Agenda hält.
So einfach, so klar, so einig waren sich die Diskutanten des Livestreams „Baukultur im ländlichen Raum – Chance und Aufgabe“ am 14. April 2021 in Föhren bei Trier. Eingeladen hatten der Vorsitzende des Landkreistages, Günther Schartz und Kammerpräsident Gerold Reker. Schartz ist Landrat im Kreis Trier-Saarburg. Das Trio der Landräte komplettierte Hans-Ulrich Ihlenfeld aus Bad Dürkheim und Sprecher der Initiative Baukultur Deutsche Weinstraße. Reiner Nagel als Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur und Prof. Kluge standen für die planerische Warte. Kluges jüngstes Forschungsvorhaben ist die Begleitung der Baukulturinitiative Alpenvorland. Acht Baukulturkommunen zwischen Dietramszell und Kiefersfelden aus den drei Landkreisen Bad Tölz-Wolfratshausen, Miesbach und Rosenheim sind hier angetreten, sich und die ganze Region baukulturell neu zu erfinden. Die virtuelle Fachveranstaltung, deren Aufzeichnung im Internet weiterhin abrufbar ist, war Teil einer Fachreihe des Landkreistages zur Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnissen auf dem Lande.
…wenn wir nicht qualitativ bauen und das ins Schaufester stellen, dann werden wir in den Orten auch nicht unbedingt den Anreiz finden. GÜNTHER SCHARTZ
Präsident Gerold Reker unterschied Baukultur als umfassende, ökonomische und soziokulturelle Aspekte inkludierende Idee vom rein ästhetischen Begriff der Baukunst. Und er rief in Erinnerung, dass genau deshalb die Förderung der Baukultur zum gesetzlichen Auftrag der Architektenkammer zählt – allein dies Ausfluss gesellschaftlicher Relevanz und hoher Aktualität.
Baukultur ist mehr als Baukunst und Ästhetik, Baukultur ist etwas anderes. Hier fließen Ökonomie, Ökologie, soziale Aspekte, die Gestaltung und Klimafragen in einem großen Spannungsfeld zusammen. Baukultur ist ein Oberbegriff. GEROLD REKER
Der anhaltende Strukturwandel, neue Bedürfnisse für Wohnen und Arbeiten, Familienstrukturen und digitale Mobilität verlangen nach angemessenem Raum. Chancen für von Auszehrung bedrohte Räume jenseits der Ballungszentren wachsen einerseits aus der Unmöglichkeit, dort bezahlbaren Wohnraum zu finden, andererseits aus den Lehren der Coronapandemie, die digitales Arbeiten vom Nerd-Thema zum Normfall hat werden lassen. Noch sind es eher zarten Ansätze einer Rückwanderung von den Städten aufs Land, noch profitieren absehbar die stadtnahen Umlandgemeinden, die beides gleichzeitig versprechen: gute Luft und Erreichbarkeit von Fachärzten, Kultur und Stadtflair.
Wie man vorankommen kann, beim Werben für mehr Baukultur, zeigen die unterschiedlichen Baukulturinitiativen eindrücklich. Im Wesentlichen, so Prof. Kluge, machen die Menschen den Unterschied – auch, aber nicht nur die in politischer Verantwortung. Diese müssten zunächst ihre baukulturelle Verantwortung als tägliche Aufgabe annehmen, Investitionsentscheidungen, Verfahren und Regelwerke auch darauf hin abzuklopfen, ob sie aufs baukulturelle Guthaben einzahlen oder es aufzehren. Weitere Ideen und Forderungen wurden zusammengetragen: Sanierungsgebiete sollen auch in den Dörfern auszuweisen sein, um von einer degressiven Abschreibung zu profitieren, Fördermitteln tatsächlich abgeschöpft werden, Leerstandskataster in den Ortskernen, sollen mit verfügbaren Räumen um neue Ideen werben. Zentrale Erfolgsfaktoren sind Beratung, Information und gut vernetzte, engagierte Ansprechpartner. Genau dafür zu sorgen, darin sahen die Landräte ihre Aufgabe.
Es gelingt immer besser im privaten Raum Baukultur durchzusetzen, wenn die Kommune vorangegangen ist und die öffentlichen Bauten baukulturell hochwertige Bauten sind. Dann hat man Vorbilder. PROF. KLUGE
Reiner Nagel pflichtete dem bei. Als Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur ist er erster baukultureller Aufklärer in Deutschland. Die Baukulturberichte, die seine Stiftung zweijährlich dem Bundestag vorlegt, verbinden beständiges Werben mit präzisen Analysen zum Status Quo und den Problemlagen. Wenn 60 Prozent aller Deutschen in Kommunen mit weniger als 50.000 Einwohnerinnen und Einwohnern leben, wird klar, dass Baukultur abseits der Ballungsräume kein Nischenthema ist. Und viele ländliche Kommunen eint die leerfallende Mitte bei gleichzeitigem Flächenfraß der Neubaugebiete darum herum. Aus den Doughnuts müssen wieder gut gefüllte Berliner werden!
Was sehr vorbildlich ist: Rheinland-Pfalz hat sich von Anfang an beim Thema Baukultur um ländliche Räume – also auch um Klein- und Mittelstädte - gekümmert. REINER NAGEL