Deutscher Landkreistag: Gleichwertige Lebensverhältnisse JETZT anpacken
Der Deutsche Landkreistag hat sich auf seiner Jahrestagung in Merseburg im engen Schulterschluss mit Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff für rasche Fortschritte im Hinblick auf gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land ausgesprochen. DLT-Präsident Landrat Reinhard Sagersagte: „Es ist gut, dass die Bundesregierung erkannt hat, dass es einer beherzten Strukturpolitik bedarf, um unser Land zusammenzuhalten und vor allem Stadt und Land nicht voneinander zu entfremden. Spätestens seit den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen haben wir es mit einer anderen politischen Landschaft zu tun. Umso mehr müssen Lösungen her für die drängenden Herausforderungen unserer Zeit. Dazu zählen Digitalisierung, wirtschaftlicher Strukturwandel, sozialer Zusammenhalt und Klimaschutz. Bei all diesen Themen geht es auch um die Frage, wie wir in 10, 20 Jahren in Stadt und Land leben wollen.“
Die Frage der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse berühre die Menschen in den Landkreisen, gerade in den ländlichen Räumen, in höchstem Maße: „Daher müssen wir gemeinsam – Bund, Länder und Kommunen – den Schulterschluss suchen, um die Fläche fit für die Zukunft zu machen. Die Menschen vor Ort erwarten zu Recht echte Mehrwerte, damit sich die Lebensverhältnisse weiter angleichen. Wir brauchen dringend Ergebnisse, die gleichwertigen Lebensverhältnisse müssen JETZT angepackt werden!“ Eine bloße Problembeschreibung und Benennung von Maßnahmen ohne finanzielle Zusagen des Bundes und ohne eine echte Priorisierung würden die Erwartungen enttäuschen. „Das stärkt am Ende nur das Gefühl, dass der ländliche Raum in allerletzter Konsequenz eben gerade nicht ernst genommen wird. Daher geht es uns um die konkrete gemeinsame Umsetzung von Maßnahmen. Nur das hilft.“
Die ländlichen Räume sind Kraftzentren
Sager wies darauf hin, dass über 56 Mio. Menschen und damit 68 % der Bevölkerung Deutschlands in Landkreisen leben und damit gerade nicht in Großstädten. „Es sollte uns deshalb darum gehen, die ländlichen Räume auch in Zukunft funktionsfähig zu halten, als mittelständisches Rückgrat des Wirtschaftsstandortes Deutschland und als Ausdruck der dezentralen Aufstellung unseres Landes“, sagte er.
An der Jahrestagung nahm auch die Bundesministerin für die ländlichen Räume, Julia Klöckner, teil, die sagte: „Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist eine Daueraufgabe, die vor allem unsere Demokratie und den Zusammenhalt in unserem Land stärkt. Wir müssen dort Leben erhalten, wo es schwindet. Es geht darum, die Daseinsvorsorge auch in der Fläche zu gewährleisten. Nach Bedarf, unabhängig der Himmelsrichtung. Konkret unterstützen wir dafür etwa Maßnahmen finanzschwacher Kommunen zur Dorferneuerung finanziell mit bis zu 90 Prozent, gehen damit auch den Leerstand an. Auch beschleunigen wir den Ausbau von schnellem Internet – eine eigene Infrastrukturgesellschaft für den Mobilfunkausbau wird geprüft. Stärken werde ich zudem das Ehrenamt als wesentlichen Standort- und Bleibefaktor ländlicher Regionen. Indem wir Vereinen in Rechts- und Finanzfragen hauptamtliche Strukturen zur Seite stellen. Um das gemeinsame Ziel zu erreichen, ist ein enger Austausch wie heute wichtig. Denn Programme, die wir auf Bundesebene auflegen, müssen in den Ländern und von den Kommunen wahrgenommen und vor Ort umgesetzt werden.“
Ebenfalls zu den Rednern gehörte der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt Dr. Reiner Haseloff, der mit Blick auf dieses Thema verdeutlichte: „Wenn wir von der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sprechen, dann geht es in erster Linie um den ländlichen Raum, vor allem bei uns im Osten Deutschlands. Natürlich haben die großen Städte auch bei uns eine Strahlkraft in die Fläche. Aber wir dürfen nicht aufhören, den ländlichen Raum zu stärken, auch in Verantwortung für die dort lebenden Menschen. Viele der wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten nach der Wiedervereinigung wurden in den ländlichen Regionen geschrieben. Ich will, dass Innovationen und Investitionen auf dem Land auch künftig möglich sind.“
Die Fläche braucht Glasfaser und 5G
Zentral sei, so fuhr Präsident Sager fort, eine zukunftsfähige Infrastruktur. „Wir brauchen eine belastbare Zusage des Bundes, dass derflächendeckende Ausbau von Glasfaser und Mobilfunk bis spätestens 2025 umgesetzt wird. Alles andere ist doch nur Second-Best“, so der DLT-Präsident. Der Staat habe sich in vielen Bereichen der Daseinsvorsorge aus der Leistungserbringung zurückgezogen und auf eine bloße Gewährleistungsfunktion beschränkt. „Das war nicht richtig. Mit dem Anspruch einer flächendeckenden Versorgung ist der Markt jedenfalls in weiten Teilen überfordert.“
Die grauen Flecken gelte es, schnellstmöglich mit Glasfaser zu versorgen, wobei die Bundesförderung mindestens mit der im Koalitionsvertrag genannten Summe von 12 Mrd. € ausgestattet werden müsse. „Dafür werden über die 5G-Auktionserlöse hinaus zusätzliche Bundesmittel notwendig sein.“
Moderne Förderung zur Bewältigung des Strukturwandels
Des Weiteren sei eine bessere Förderung von lebendigen Ortskernensowie von kleinen Betriebennotwendig. Denn es habe sich in den letzten Jahrzehnten wirtschaftspolitisch viel verändert. „So sind die Erfordernisse bei Landwirtschaft, Dorferneuerung, Flurneuordnung oder Wegebau, gerade weil wir dort viel erreicht haben, heute völlig andere als in den 1960er Jahren. Die Antwort auf diesen Strukturwandel muss zumindest auch eine Verbreiterung des Förderspektrums der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur (GAK) sein. Das heiß natürlich auch: eine Mittelaufstockung durch den Bund.“
Dafür sei eine Grundgesetzänderung notwendig. „Dadurch könnten dann auch mittelständische Unternehmer wie Elektriker, Kfz-Mechaniker oder Handwerker unterstützt werden, die ebenso wie Metzger, Bäcker und Friseur für eine Grundversorgung der Bevölkerung wichtig sind.“ Hier gehe es deutschlandweit nicht um Milliarden-, sondern um dreistellige Millionenbeträge. „Das wäre eine gute Investition, weil vor allem Arbeitsplätze geschaffen würden.“
Tragfähige Kommunalfinanzen statt Strohfeuer
Zu gleichwertigen Lebensverhältnissen zähleebenso grundlegend die Finanzausstattung der Kommunen. „Wir werben seit Langem für einen höheren Anteil der Kommunen an der Umsatzsteuer. Und zusätzlich füreine direkte Steuerbeteiligung der Landkreise als Hauptaufgabenträger in der Fläche. Wir wollen diesen Zuwachs außerdem gerechter, und zwar nach Einwohnern verteilen. Solidarität und Verteilungsgerechtigkeit sind auch zwischen Kommunen wesentlich und ein Schlüssel zu mehr Gleichwertigkeit.“Demgegenüber sorgten Förderprogramme von Bund und Ländern für Modellprojekte, Konjunkturprogramme oder zuletzt den Digitalpakt für neue Abhängigkeiten anstatt für tragfähige Strukturen auf kommunaler Ebene. „Immer wieder werden mit neuen Programmen nur Strohfeuer entfacht. Was wir aber brauchen ist eine ordentliche Grundausstattung“, fasste es Sager zusammen.
Der Kabinettbeschluss hat in der Presse sowie bei Ländern und Kommunen die Erwartung geweckt, dass der Bund die Altschulden einzelner Kommunen übernehmen wird. Dies wäredas glatte Gegenteil dessen: „Es kann nicht sein, dass sich der Bund ohne Veranlassung und Befugnis an der Altschuldentilgung von Ländern und Kommunen beteilige. Auch geht auf diese Weise wichtiges Bundesgeld, das eigentlich für eine bessere Förderpolitik, den Breitband- und Mobilfunkausbau oder die Verkehrswende gut und sinnvoll eingesetzt wäre, in den Schuldendienst. Zukunftsorientierung statt Vergangenheitsbewältigung muss stattdessen die Devise sein!“
Außerdem müssten die Länder dauerhaft die finanzielle Mindestausstattung jeder einzelnen Kommune garantieren. „Sonst werden die ungerechtfertigten Forderungen der Länder an den Bund für eigene Versäumnisse niemals aufhören“, ermahnte der DLT-Präsident. „Auch erwarten wir, dass die Länder für bundesgesetzlich neu gestaltete oder erweiterte kommunale Aufgaben wie beim Bundesteilhabegesetz finanziell eintreten.“
Anpacken statt rumschnacken
Zum Schluss appellierte Sager: „Wir können es besser – davon bin ich überzeugt. Wir erwarten ohne Wenn und Aber entscheidende Fortschritte, die den Menschen in der Fläche echte Mehrwerte bringen. Der Deutsche Landkreistag jedenfalls wird nicht müde, die Politik anzutreiben. Getreu dem Wahlkampfmotto eines norddeutschen Ministerpräsidenten: ‚Anpacken statt rumschnacken.‘“