Hohes Gras statt Rasenmäher
Ob Koblenz, Worms oder Neuwied – viele Städte kommen deutlich grüner daher als in früheren Jahren. Statt sorgfältig gestutzter Rasenflächen wachsen mancherorts heute hohes Gras, Wildblumen und Kräuter.
Das Stadtbauamt und die Servicebetriebe Neuwied haben in den vergangenen Jahren viel für Biodiversität und Insektenschutz getan und für mehr Grün in der Stadt gesorgt: Die Mitarbeitenden pflanzten zahlreiche neue Bäume, Sträucher und Stauden. Im Schlosspark wurden auf zwei Experimentierflächen unterschiedliche Saatgutmischungen ausgesät, um herauszufinden, welche sich am besten entwickelt. Und auch die Bewirtschaftung von Grünflächen hat sich verändert: Gemäht wird teilweise nur noch einmal jährlich, insbesondere Blühstreifen bleiben stehen, um Insekten Lebensraum und Nahrungsquellen zu bieten.
Das findet in der Bevölkerung durchaus Zuspruch, Kritik gibt es aber auch: Unordentlich sähen die Grünflächen aus, finden manche Bürger. Doch zu einer naturnahen, insektenfreundlichen Bewirtschaftung und dem Erhalt der Biodiversität gehört „Wildwuchs“ einfach dazu. „Wir klären auf, was es mit den Blühwiesen auf sich hat, beispielsweise stellen wir in den nächsten Wochen an den entsprechenden Flächen Schilder auf, die mittels QR-Code weitere Infos liefern.“ Alena Linke, zuständig für Umweltplanung bei der Stadt Neuwied, hofft, damit Skeptiker vom Sinn der neuen Ansätze zu überzeugen.
Begrünte Wartehäuschen
Gemeinhin sind Buswartehäuschen kein Exempel für Stadtgrün. Anders sieht das an der Mainzer Bushaltestelle „Straßenbahnamt“ aus. Dort steht das erste Mainzer Buswartehäuschen mit begrüntem Dach. „Gründächer geben den Bewohnerinnen und Bewohnern ein Stück Natur zurück und leisten einen wichtigen Beitrag zu einer besseren Umwelt und zum Erhalt der Biodiversität“, sagt Daniel Gahr, Vorstandsvorsitzender der Mainzer Stadtwerke. Außerdem trügen sie zu einer besseren Luft mit geringerer Feinstaubbelastung. Und die Gründächer sorgen für einen weiteren angenehmen Effekt: In den darunterliegenden Wartehäuschen ist es an heißen Tagen kühler als in ihren kahlen Pendants. Neue Haltestellen sollen – sofern das am jeweiligen Standort sinnvoll ist – künftig nur noch mit begrünten Dächern entstehen. Ein ähnliches Programm gibt es auch in Trier.
Grün statt Schotter
Schottergärten geht es in zahlreichen Kommunen an den Kragen. Auch die Stadt Andernach möchte die Zahl der „Steinwüsten“ reduzieren. Denn nicht nur die Artenvielfalt leidet darunter, die Steine heizen im Sommer zudem extrem auf und geben die Hitze nachts ab. Andernach erlässt jedoch kein Verbot, will stattdessen Hausbesitzer aufklären und animieren, ihre Gärten grüner zu gestalten. Beispielsweise mit einer Aktion, bei der die Stadtverwaltung im März 2022 rund 2000 Stauden an interessierte Bewohner verschenkte, um Schotterflächen wieder zu begrünen. Außerdem hat die Stadt einen Mustervorgarten und einen Schottergarten angelegt und mittels Infotafeln und Temperaturmessung die Vorteile einer begrünten Fläche sichtbar gemacht.
Pflanzen nutzen einander
Aber nicht nur in den Städten, auch im ländlichen Bereich stehen Biodiversität, Insektenschutz und Maßnahmen gegen den Klimawandel auf der kommunalen Agenda. In Trechtingshausen lautet das Stichwort „Dynamischer Agroforst“. Was darunter zu verstehen ist, erklärt die Klimaschutzbeauftragte der Verbandsgemeinde Rhein-Nahe, Sarah Wendel: „Bei dieser nachhaltigen Anbaumethode werden Pflanzen in hoher Vielfalt und Dichte eingebracht. Die Pflanzen sollen sich gegenseitig unterstützen, sowohl durch Stoffaustausch als auch die gegenseitige Abwehr von Krankheiten oder Schädlingen." Alles was an Biomasse anfällt, beispielsweise durch Beschnitt, verbleibt im Gelände. Durch die Bodenbedeckung werden Verdunstung und Erosion vermindert, Humusbildung und CO2 Speicherung steigen.
Begeistert zeigt sich Wendel auch davon, dass durch den neuen Garten „das Ortsbild aufgewertet wird: Er ist nützlich für Natur, Klima und die Bürgerinnen und Bürger. Denn letztendlich soll Klimaschutz auch den Menschen nutzen“.
Finanziert wird das Projekt über den Landkreis Mainz-Bingen mit dem Preisgeld aus dem Bundeswettbewerb „Naturstadt – Kommunen schaffen Vielfalt“. Mit im Boot ist auch die Naturschutzorganisation Naturefund, die das Konzept des Dynamischen Agroforsts entwickelt hat.
Bäume für Bürger
Die Kreisverwaltung Südwestpfalz hat vor zwei Jahren eine Aktion ins Leben gerufen, bei der sie jedes Jahr im Herbst Obstbäume an interessierte Bürgerinnen und Bürger der 84 Ortsgemeinden verschenkt. Die 100 Birnbäume, die 2021 eingeplant waren, waren so schnell weg, dass die Anzahl kurzerhand auf 200 verdoppelt wurde. Auch dieses Jahr verschenkt die Kreisverwaltung wieder Obstbäume – inklusive insektenfreundlicher Blühmischungen mit einheimischen Wild- und Kulturpflanzen.
„Mit dieser Aktion leisten wir direkt vor Ort einen Beitrag zum Klima- und Artenschutz und binden die Bürgerinnen und Bürger aktiv mit ein“, erklärt Landrätin Susanne Ganster. Neben Privatpersonen haben auch Schulklassen und Pflegeeinrichtungen in den vergangenen Jahren fleißig Bäume gepflanzt und damit für mehr Grün in den Kommunen gesorgt. Die Reaktionen auf die Baumpflanzaktion sind laut Manfred Seibel, Klimaschutzbeauftragter im Kreis Südwestpfalz, durchweg positiv; und auch die Kosten halten sich mit rund 6.000 Euro für 200 Bäume inklusive Blühmischungen im Rahmen.
Paten als Betreuer
Eine „Suchaktion“ startet derweil der Kreis Neuwied: Dort suchen Beete Paten, die sich um die Flächen kümmern, sie bepflanzen, pflegen und gießen. Verfügbare Flächen werden mit einem „Beet sucht Pate“-Schild gekennzeichnet. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Baumscheiben, Verkehrsinseln oder Grünflächen innerhalb der Ortsgemeinden. Ist die Fläche an einen Paten vergeben, wird das „sucht“ durch mit einem „hat“ Aufkleber überklebt.
Viele Beete haben bereits Paten gefunden; die Aktion kommt bei den Bürgerinnen und Bürgern gut an. „Die Flächen sind nicht groß, sodass die Paten nicht zu viel Arbeit haben. Aber wenn man durch die Gemeinden geht, fallen die gestalteten Beete richtig ins Auge“, freut sich Gabi Schäfer, zuständig für Klima- und Umweltschutz bei der Kreisverwaltung Neuwied. Und das zeige doch, „wieviel auch kleine Beiträge bringen – sowohl für die Verschönerung der Dörfer als auch für die Insekten“.